Trump: Manager des Abstiegs und Disruptor
- Wolfram Elsner
- vor 3 Tagen
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Man mag in der „Politik“ Trumps eine gewisse Lust an der „Disruption“ erkennen. Was er in den ersten Wochen und wenigen Monaten seiner Präsidentschaft beschlossen hat, ist zweifellos „disruptiv“. Es hat das Potential, bestehende internationale (und natürlich auch (inneramerikanische) Strukturen zu zerstören. Das scheinbar erratische Hin- und Her, sein Vor und Zurück und sein willkürliches und absurdes Jonglieren mit Zahlen, zurzeit insbesondere mit Zollsätzen, verbreitet in der Tat Unsicherheit in den Ländern, die das Ziel dieser aggressiven Aktionen sind, vor allem in den betroffenen Unternehmen, bei den betroffenen öffentlichen Administrationen, die oft gar nicht vollstrecken können, was da aus dem Weißen Haus täglich verordnet wird, und bei den Menschen im allgemeinen.
Offiziell will Trump Ungerechtigkeiten in der internationalen Wirtschaft, namentlich im Warenhandel, zulasten der USA beseitigen und die Handelspartner, mit denen die USA meist ein großes Handelsdefizit aufweisen, dazu zu zwingen, über Zölle zu verhandeln. Das ist zunächst einmal ein Gedanke, der eine gewisse minimale Rationalität enthalten könnte. Zu systematischen Verhandlungen ist es aber bisher nicht gekommen. Viele Länder haben bilaterale Verhandlungen bereits angeboten, bei denen die USA typischerweise eine relativ starke Position hätten, wie es immer bei ihren bilateralen und exklusiven Handelsverträgen seit den 1980er Jahren der Fall war. Aber die USA sind weder initiativ in Richtung auf Neuverhandlungen von Handelsbedingungen, noch scheinen sie dazu in der Lage oder vorbereitet zu sein. Verhandlungspläne oder -ziele sind nirgends erkennbar und auch nicht die Institutionen und Personen, die dazu willens oder auch in der Lage wären.
Zwei Dinge sind dagegen vorab schon sehr klar geworden:
Erstens, das undemokratisch-zentralistische US-Präsidialsystem, das dem US-Präsidenten eine kaum demokratisch beschränkte Macht verleiht, zeigt klar sein diktatorisches Potential, insbesondere wenn eine mental undemokratisch eingestellte Präsidentenperson mit einer Kongressmehrheit herrscht, die, wie die heutige Trump weitgehend ergebene REP-Partei, ein erhebliches putschistisches Potential hat und in ihrer Mehrheit konventionelle westliche parlamentarische und Gewaltenteilungs-Strukturen beseitigen will. Dann gelangt man schnellstmöglich in einen mehr oder weniger offenen diktatorischen Sog. Das ist keineswegs systemwidrig sondern eine eingebaute potentielle Option des US-Präsidialsystems, für Phasen systemischer Krisen. Und es hat in der Geschichte der USA, namentlich im 20 Jahrhundert, und nun in der Spätfolge der Großen Finanzkrise 2008ff., stets zahlreiche Anläufe etwa für faschistische und diktatorische Formen der Herrschaftsausübung gegeben.
Das ist auch nicht nur auf die USA beschränkt, der kollektive Westen hat stets mit faschistischen Herrschaftsvarianten in anderen Ländern gezielt gearbeitet, und zuletzt ja auch wieder seine Liebe zu Faschisten und SS-Nachfolgern in der Ukraine oder in den baltischen Frontstaaten, möglicherweise auch bald z.B.in Italien und anderswo, wiederentdeckt. Faschismus ist immer für systemische Krisen gut und faschistische Kräfte sind immer gut für den politischen Westen gewesen, um irgendwo die die Kohlen aus dem Feuer zu holen und eine gewisse Dreckarbeit auf den Straßen und in den Schützengräben zu leisten. Zurzeit wird also eine tendenziell diktatorische Variante als eine der Optionen der US-Präsidialverfassung ausgelotet.
Dabei ist Trumps objektive Aufgabe, die verbliebenen, reduzierten Machtressourcen der USA neu zu ordnen und (auf China) zu konzentrieren. Trump ist objektiv ein Verwalter des relativen Niedergangs der USA nach einer mittelfristigen strategischen Niederlage in Russland, Afghanistan, Nord- und Westafrika, Westasien usw. Dazu braucht es anscheinend eine große Machtzentralisation und diktatorische Maßnahmen.
Subjektiv treibt Trump der Hass gegen die „woken“ DEMs und alten NeoCons um, deren Machtbasis er offenbar konsequent zerschlagen will. Die NeoCons muss er in der Außenpolitik in der Tat entmachten, denn sie waren selbst nicht in der Lage, die durch sie selbst reduzierten und überdehnten Machtressourcen der USA zu reorganisieren. Sie haben den Schlamassel der USA in der Tat herbeigeführt und haben sich dann als unfähig erwiesen, der zunehmenden Erschöpfung und Überdehnung der Ressourcen vor allem durch den Ukrainekrieg gegen Russland aufzuhalten. Mit Biden und Harris wären die USA absehbar in einen Erschöpfungskollaps geschliddert. Die verbleibenden NeoCons der DEMs in Washington und in den Hauptstädten der EU, Brüssel, Berlin und Paris, sowie in London, haben für die aktuellen Probleme von Krieg und Frieden keinen „Plan B“: Trotz eines dramatischen strategischen Scheiterns ihrer NATO in der Ukraine (wie zuvor in Afghanistan, Irak, Libyen u.v.a.m.) können sie sich nur noch an den alten Parolen („Russland vernichten“, „totaler Endsieg in der Ukraine“) festklammern. Sie haben daher die internationale Initiative völlig verloren. Sie wissen ohnehin nicht mehr, was Diplomatie einst war. Insofern ist Trump ein möglicher Retter einer reduzierten Macht der USA.
Zweitens, es ist offensichtlich, dass Trump und seine Administration ihr erklärtes Ziel, die USA wieder „groß“ zu machen durch eine Reindustrialisierung, mit ihren Instrumenten und Strategien niemals werden erreichen können. Man wird die eine oder andere ausländische Industrieinvestition in die USA (zurück-)holen können. Das hatte schon Biden mit viel Geld und billiger Energie begonnen. Aber mit Zollsätzen zu spielen, kann keine Reindustrialisierung auf breiter Front generieren. Simplistische Strategien gegen komplexe Probleme müssen scheitern. Die USA brauchten mehrere Jahrzehnte eines konsequenten Wiederaufbaus von kritischen Faktoren einer modernen Industrialisierung, beginnend mit der Erziehung und Ausbildung in Kindergarten, Schule und Universitäten. Die USA haben z.Zt. weder die Fachkräfte für breite industrielle Innovationen noch die Ingenieure für eine Anwendungsforschung und nun auch immer weniger die Top-Wissenschaftler für Grundlagenforschung. Zudem fehlen für eine moderne Industrie die Infrastrukturen und die alerten öffentlichen Akteure vor Ort, ein leistungsfähiger „Developmental bzw. Entrepreneurial State“, wie in der Fachliteratur seit 20 Jahren herausgearbeitet worden ist. Insofern ist die Trump-Strategie in Sachen Reindustrialisierung der USA zum Scheitern verurteilt. Und die Gefahr ist groß, dass die makroökonomischen Konterfeffekte der Zollstrategie und der anderen groben “Hammer“-Maßnahmen, wo kombinierte Präzisionsmaßnahmen erforderlich wären, den Gesamtansatz zum Scheitern verurteilen werden. Krische Inflationsraten und weitere adverse Einkommensverteilungseffekte, Überspekulation und Aktieneinbrüche dürften eher zu Teilzusammenbrüchen führen, bevor eine Stärkung der realökonomischen Basis der USA überhaupt ansatzweise erkennbar sein wird.
Also will Trump doch nur systematisch Unsicherheit schüren, eine unbändige Lust am Chaos und an der Angst der anderen?
Man darf, in dem oben abgesteckten Rahmen der strategischen Defensive und des relativen strategischen Scheiterns der USA, des hohen Aufwands der strategischen Reorganisation der US-Machtfaktoren sowie des fehlenden politisch-ökonomischen Wissens im Trump-Lager Trump dennoch nicht unterschätzen. Im Rahmen der strategischen Rekonfigurierung hat er in den ersten drei Monaten seiner Präsidentschaft die Auseinandersetzung mit China zwar auf einen ersten systemischen Großkonflikt, eine Art Etappenentscheidung, zugetrieben, die er vermutlich aber verlieren wird. Ob er das mit oder ohne Not gemacht hat, kann man im Moment noch nicht beurteilen.
Aber er ist eben auch ein (selbsterklärter) finanzieller „Dealmaker“, somit ein Verhandler, und in gewisser Weise somit auch ein Pragmatiker. Natürlich klingt es irre, und, wie die chinesische Regierung gesagt hat, ist es ein Witz, wenn er wild Zahlen für Zollsätze greift, 125, 145, 245% (warum eigentlich nicht 24.000%?). Diese haben keinen realen Effekt mehr, da selbst chinesische Waren bei mehr als durchschnittlich 60% Zollsätzen ihren Preisvorteil, aufgrund höherer Produktionseffizienz in China, auf dem US-Markt verlieren würden (so etwa jedenfalls im Schnitt gültig für EVs). Für US-Waren braucht es nur einen viel kleineren chinesischen Import-Zollsatz, um US-Waren auf dem chinesischen Markt unverkäuflich zu machen. Dieses Spiel hatte also etwas Absurdes oder, wenn man so will, auch etwas Gespenstisches. Aber es gibt auch Leute in der Trump-Administration, die noch die Grundrechenarten beherrschen, und die ihm wohl gesagt haben, dass im Durchschnitt bei deutlich über 60% Importzollsatz gegen chinesische Güter der chinesische Import in die USA bereits zum Erliegen kommen würde. Ersatz dafür könnten weder die US-Haushalte noch die US-Unternehmen bekommen.
Und da China sich nicht mehr hat beeindrucken lassen und gesagt hat, „Wir spielen dieses Spiel nicht mehr mit und reagieren gar nicht mehr“, war sich der „Dealmaker“ und Pragmatiker drei Tage später nicht zu schade zu sagen, wir werden einen Deal mit China machen und werden damit beginnen, über 60% Zollsätze (statt der zuvor verordneten 145%) zu verhandeln. Insofern bringt Trump, im Gegensatz zu den versteinerten selbsternannten woken Chefideologen und extremistischen „Werte“-Junkies des alten NeoCon-Globalismus etwas Erfrischendes und Bewegliches in die internationale Politik, ebenso wie ja auch schon in der Friedensfrage (Ukraine).
Trump dürfte die strategischen Schwächen der USA kennen. Im Zweifel werden ihm die Wall-Street-Finanzgrößen und die Industriekonzerne deutlich machen, dass ein Systemkollaps hinter der nächsten Ecke stehen könnte. Sie alle haben bereits zu viel Zwangsverluste durch die Politisierung der Ökonomie und die Geopolitik der Obama, Trump 1.0 und Biden hinnehmen müssen. Noch mehr Marktanteilsverluste können sich auch viele der größten Industriekonzerne nicht mehr leisten. Manche stehen da schnell an der Wand. Die woken „Werte“-Extremisten hatten ihre Ökonomien und ihre Konzerne ja bereits bis zur Grenze des Erträglichen politisiert und stranguliert. Sie gehen ja bekanntlich für ihre „Werte“ über (ökonomische und menschliche) Leichen. Das deutsche Minuswachstum im dritten Jahr in Folge ist ein schlagendes Beispiel dafür, wie weit sie in ihrer Geopolitik zu gehen bereit sind.
Entgegen dem oberflächlichen Anschein ist Trump also nicht allein auf der Welt. Und er hätte dringend „Deals“ zu machen. Die Multipolarisierung schreitet voran, die USA verlieren in jeder Hinsicht globale „Marktanteile“, der internationale Handel und die internationalen Währungsreserve-Politiken der Zentralbanken sind auf dem Pfad einer Entdollarisierung, und wenn die Fed die Zinssätze senken muss, wird die Wall Street weniger attraktiv für internationales spekulatives Kapital. Altbekannte Zwickmühlen Washingtons. Bei 37 Billionen USD Staatsverschuldung (knapp 125% des BSP), werden die US-Treasuries vielen Spekulanten allmählich zu riskant. Trump muss bereits 4,5% Zinsen zahlen, um sich neu zu verschulden. Die Stimmung des Finanzkapitals ist diesbezüglich nicht gut. Davon profitieren Gold und Kryptowährungen. Wenn dann noch die Aktien der Industriekonzerne aufgrund verschärfter Politisierung („Geopolitik“) ins Trudeln geraten sollten, kann es sehr schnell sehr kritisch werden.
Es würde also nicht verwundern, wenn Trump ernsthaft strategische Entlastungen der USA durch Verhandlungen mit Beijing anstreben würde. Da gibt es wie gesagt enorm viel Verhandlungspotential. Könnte Beijing noch einmal einige Hundert Milliarden USD in US-Treasuries investieren, wenn Trump daraufhin den alten NeoCon-„Werte“-Extremismus in Sachen Taiwan aufgeben, die Green Berets aus der Hafeneinfahrt von Xiamen zurückziehen und keine Waffen mehr nach Taiwan liefern würde? Würde Beijing gegen Zollbeseitigungen den Yuan um einen moderaten Prozentsatz aufwerten? Gegen die Beseitigung quantitativer „Sanktionen“, also Restriktionen des freien Flusses von Waren, Kapital und Menschen, würden chinesische Unternehmen in den USA investieren und, in Trumps Worten, „amerikanische Arbeiter beschäftigen“ (und vermutlich mühsam requalifizieren)?
Spielräume für produktive „Deals“ bzw. Win-Win-Interaktionen gibt es zuhauf. Die chinesische Regierung hat sich jahrelang mit eigenen Sanktionen zurückgehalten, immer ein bisschen weniger reagiert als agiert wurde, die Karte „Seltene Erden“ lange Zeit nicht ernsthaft gespielt, immer Spielräume für Verhandlungen offengelassen, immer Verhandlungsangebote gemacht und Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Unter den „Werte“-Extremisten war das vergebliche Liebesmüh. Wenn einer in Washington einen bauernschlauen Instinkt für Machbares besitzt, dann könnte es Trump sein.
China ist heute in jeder Hinsicht besser aufgestellt als unter Trump 1.0, das dürfte auch Trump gemerkt haben, und er dürfte auch gemerkt haben, dass Trump 2.0 strategisch verwundbarer ist als es Trump 1.0 glaubte zu sein. Sollte Trump aus eigener Dummheit oder aus dem Chinahass in seiner Administration einen größeren Showdown mit China herbeiführen wollen, kann es böse werden. Hat er eine Rest-Rationalität und einen Rest-Pragmatismus, dann müsste es in den nächsten wenigen Monaten zu ernsthaften Verhandlungen zwischen Washington und Beijing kommen. Gespräche auf mittleren Ebenen finden ja schon länger statt. Die Welt würde erst einmal zur Ruhe kommen, wenn es zu einem umfassenderen Win-Win-„Deal“ auf hoher und höchster Ebene kommen könnte. 2025 wird ein entscheidendes Jahr werden.
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